Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.
jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?
Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.
Können wir denn heute über die Koalitionsverhandlungen reden.
Nö. Interessiert mich immer noch nicht. Aber eins vielleicht: ich hätte kurz nach der Wahl eine Wette darauf abschließen sollen, dass die SPD sich doch noch irgendwie an der Regierung beteiligen wird. Das hab ich schon gesagt, als dieser Schulz sofort das Gegenteil behauptet hat. Irgendein englischer Buchmacher hätte die Wette schon angenommen und ich wär bald reich.
Na warten wir es ab. Und was schlagen sie als Thema für heute vor?
Warum ich? Sie sind wohl mal wieder schlecht vorbereitet?
Gut, dann lassen sie uns über dieses unsägliche Zentrum für Politische Schönheit reden.
Wenn es sein muss. Aber warum unsäglich?
Finden Sie denn nicht auch, dass diese Stelenaktion beim Höcke absolut geschmacklos ist?
Kann man wohl drüber streiten. Ich weiß, dass auch viele Linke das so sehen.
Aber sie scheinbar nicht.
Ich will jetzt gar nicht über Geschmack mit ihnen reden. Aber wer sagt denn, dass Kunst geschmackvoll sein soll?
Kunst?
Ja, denke schon, dass wir hier über Kunst reden. Also, es ist doch so: Das Holocaust-Mahnmal in Berlin war doch von Anfang an höchst umstritten. Auch bei Linken. Bin im Sommer da gewesen und es ist alles gekommen, wie die Kritiker es vorausgesagt haben. Kids chillen auf den Stelen rum, essen Pommes und daddeln am Handy, Kinder spielen Verstecken, die meisten Erwachsenen können nichts damit anfangen und die Ausstellung im Keller reißt auch nicht alles raus. Nun kann man mit Recht sagen, das ist kein würdiger Umgang mit der Shoah. Aber das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist nun mal ein Denkmal. Glaube nicht, dass ein würdigeres Werk, so ein klassisches Mahnmal, diese Funktion so gut erfüllt hätte wie Peter Eisenmans Stelen. Es wird diskutiert und damit denkt man an die Verbrechen der Nazis. Mehr kann Kunst nicht erreichen. Die Details kann man schließlich an vielen anderen Stellen nachlesen oder nachschauen.
Gut, aber was da in Bornhagen abläuft, ist doch wohl eine andere Nummer.
Warum meinen sie das? Ich denke schon, dass es sich da um Kunst handelt. Wie gesagt, über Geschmack lässt sich streiten. Aber das Werk – und ich meine das Gesamtwerk, nicht nur die Betonklötze in Höckes Nachbargarten, auch die mediale Begleitung, das Spielen mit Lügen und Halbwahrheiten, die erwartbaren Reaktionen von Nazis, Polizei, Politik, Medien und linken Kritikern – ist für mich ohne Zweifel ein Kunstwerk, eher der Aktionskunst als der bildenden Kunst zuzuordnen. Und Kunst darf erst mal alles. Wenn sie dann noch der Aufklärung dient … Was will ich mehr?
Geht es nicht um die Selbstdarstellung eitler Künstlertypen?
Künstler sind doch immer eitel. Und Kunst ohne Selbstdarstellung? Klar hat das alles ein Geschmäckle aber die Tatsache, dass an die Shoah erinnert wird und vor allem auch daran, dass in deutschen Parlamenten wieder Typen sitzen, die die Naziverbrechen relativieren und von einem „Denkmal der Schande“ reden, wiegt das doch alles auf. Ähnlich ist es doch auch mit den Stolpersteinen von Gunter Demnig. Auch dem wird Eitelkeit und Geldmacherei vorgeworfen. Hab ihn mal live erlebt und das ist alles nicht von der Hand zu weisen. Auch, dass die Gedenksteine ins Trottoir eingelassen werden und jeder Arsch drauf rumtrampelt, wird kritisiert. Kann ich alles nachvollziehen, aber die Idee, eines europaweiten Denkmals mit mittlerweile über 60.000 Steinen ist doch so grandios, dass man über alles andere hinwegsehen kann.
Auch darüber, dass diese Steine von Nazis beschmiert oder herausgerissen werden?
Das zeigt doch, dass die Kunst wirkt. Sie ärgern sich und entlarven sich gleichzeitig. Jeder herausgerissene Stein beweist doch, dass die heutigen Nazis in klarer Kontinuität zu denen von 33 stehen. Das gilt auch für Höcke. Wenn sie so wollen, gehören diese Reaktionen zum Gesamtkunstwerk dazu.
Wenn sie meinen.
Ja, tue ich.
O.k., an dieser Stelle werden wir uns wohl nicht einig werden.
Egal.
Und was machen sie heute noch?
Keine Ahnung. Wollte eigentlich in die Stadt, CDs shoppen, den Drachen füttern, aber ich glaube, der Weihnachtsmarkt hat schon angefangen. Da kotz ich im Strahl.
Trotzdem danke für das Gespräch.
Schon gut. Und nächstes Mal besser vorbereiten.